Skip to main content

Experten raten zu Bevorratung

So funktioniert der Katastrophenschutz in Baden-Württemberg

Branddirektor Jürgen Link spielt im Regierungspräsidium Karlsruhe Katastrophenfälle durch. Dazu gehören auch kerntechnische Unfälle. Der Bund schickte nun 8,6 Millionen Jod-Tabletten für den Ernstfall in die Fächerstadt. Aber auch Stromausfälle können schlimm werden.

Verpackte Jod-Tabletten stehen auf Kartons.
Ein Blick ins Zentrallager des Regierungspräsidiums Karlsruhe: 8,6 Millionen Jod-Tabletten wurden kürzlich an das Regierungspräsidium geliefert. Foto: Rake Hora

Jürgen Link schaltet während des Gesprächs in den Krisenmodus. „Haben Sie daheim Zugriff auf ein elektronisches Radio? Wie viel Wasser haben Sie bevorratet?“ Der Branddirektor ist im Regierungspräsidium für alles zuständig, was mit Bevölkerungsschutz und Katastrophen zu tun hat. Als er einen Versorgungsengpass durchspielt, wird Link ernst.

Ein Versorgungsengpass kann schon bei mehrtägigem Stromausfall eintreten

„Natürlich hat man ein elektronisches Radio – im Auto.“ Aber die Menschen könnten heute kaum noch improvisieren, sagt Link. Dabei kann ein Katastrophenfall schnell eintreten – schon bei einem mehrtägigen Stromausfall kommen Mensch und Infrastruktur an Grenzen.

Vor ein paar Tagen ging es für Link um ein Ereignis, das laut Behörden eher unwahrscheinlich ist: ein kerntechnischer Unfall. 8,6 Millionen Jod-Tabletten lieferte der Bund da an das Regierungspräsidium Karlsruhe. Wenn es einen kerntechnischen Unfall gibt, sollen diese an die Bürger ausgegeben werden. Das Ziel ist eine sogenannte Jod-Blockade: Der Körper sättigt die Schilddrüse mit nicht-radioaktivem Jod.

Wir freuen uns über jedes Kernkraftwerk, was in der Nachbarschaft abgeschaltet wird.
Regierungspräsidentin Sylvia Felder

„Solange Kernstoffe vorhanden sind, haben wir immer ein Auge auf Philippsburg“, sagte Regierungspräsidentin Sylvia Felder, als die Jod-Tabletten in einer Karlsruher Lagerhalle angeliefert wurden. „Wir freuen uns über jedes Kernkraftwerk, was in der Nachbarschaft abgeschaltet wird.“

Der Reaktor im elsässischen Fessenheim wurde ebenso abgeschaltet wie das Kernkraftwerk Phillipsburg. Doch die Entsorgung der Stoffe wird Bevölkerung wie Politik noch über Jahrzehnte beschäftigen.

Nach der Kernschmelze ist noch genug Zeit zum Verteilen der Jod-Tabletten

Selbst bei einer Kernschmelze bleiben mehrere Stunden, sagt Link. Die Vorstellung aus dem Fernsehen, bum, fertig, aus, sei falsch. Die Brennstäbe sind durch ein Gefäß geschützt, das Gefäß durch das Gebäude. „Selbst bei einer Kernschmelze dauert es, bis radioaktive Stoffe nach Außen treten“, sagt Link.

Also bleibt etwas Zeit, um Jod-Tabletten zu verteilen. Für 1,5 Millionen Menschen im Regierungsbezirk sind diese vorgesehen, Tagestouristen mit eingerechnet. Menschen über 45 Jahren sollten die Tabletten wegen der zu befürchtenden Nebenwirkungen nicht einnehmen. „Es ist eine Bevorratung für einen Fall, der hoffentlich nie eintritt“, sagt Regierungspräsidentin Felder.

Jürgen Link ist im Regierungspräsidium als stellvertretender Referatsleiter für Katastrophenschutz zuständig.
Jürgen Link ist im Regierungspräsidium als stellvertretender Referatsleiter für Katastrophenschutz zuständig. Foto: Rake Hora

Bei Eintreten einer Katastrophe ist zunächst einmal das Innenministerium des Landes zuständig, vor Ort aber vor allem das Regierungspräsidium zusammen mit den Landratsämter.

Der Klimawandel könnte einige Katastrophen mit sich bringen.
Branddirektor Jürgen Link

Branddirektor Link betont mit Blick auf die Zukunft: „Der Klimawandel könnte einige Katastrophen mit sich bringen.“ Schon ein heftiger Starkregen nach einer Trockenperiode kann Probleme bereiten.

Für den Fall eines kerntechnischen Unfalls werden derzeit bundesweit 189,5 Millionen Jod-Tabletten verteilt, so ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. „Die Kosten werden im einstelligen Millionen-Bereich liegen.“

1,2 Millionen Tabletten sind für den Ortenaukreis vorgesehen. Die Pläne für entsprechende Maßnahmen würden regelmäßig aktualisiert und beübt werden, teilt ein Sprecher des Landratsamtes Ortenaukreis mit. Im Kreis Karlsruhe wurde die Verteilung in einem solchen Fall nicht eingeübt, wie es aus dem Landratsamt heißt.

Eine Sprecherin des Gemeindetags teilt mit: „Wir wissen von Kommunen, dass solche Abläufe auch regelmäßig geübt werden.“

Mehrtägiger Stromausfall wäre am schlimmsten

Am schlimmsten aber, da sind sich Branddirektor Link und Katastrophenschutz-Experten einig, wäre ein mehrtägiger Stromausfall. „Das trifft jeden knallhart“, sagt Link. In einem solchen Fall würde er Supermärkten gar raten, die Türen aufzumachen, weil diese sonst aufgebrochen werden würden. „Die Solidarität der Menschen ist nur eine gewisse Zeit lang da.“

Auch aus diesem Grund rät Link dazu, einen Gewissen Vorrat zu haben.

„Ich erwarte von jedem, dass er einen gewissen Vorrat hat.“ So brauche man für mindestens zwei Wochen Trinkwasser. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz schlägt eine Grundversorgung für zehn Tage vor. „Wenn man es clever macht, kostet es nicht mehr als sonst.“

Wasser, Müsli etc. würden nach und nach aufgebraucht und dann eben ersetzt werden. „Wenn eine Stadt meint, bei flächendeckendem Stromausfall kommt jemand und hilft – das können sie vergessen.“

Bei hoher Versorgungssicherheit ist ein Ausfall umso härter

Bei einer Starkregenlage gebe es immerhin eine Vorhersage. „Bei einem Stromausfall können wir wenig machen. Jeder hat das, was er bevorratet hat.“

Link erklärt: „Je größer die Versorgungssicherheit in einem Land ist, umso härter wird es bei einem Ausfall getroffen.“ Natürlich ziehe es dann auch eine Unruhe unter den Bürgern mit sich. „Und dann ist die Frage, ob wir das überhaupt einfangen können.“

Es ist immer so eine Sache mit der Bevorratung. „Wenn man eine Million Sandsäcke bevorratet, ist das bei einem Hochwasser zu wenig. Wenn die Sandsäcke nach 20 Jahren aber verfaulen, heißt es, das sei Verschwendung.“

Er könne daher nur Berater für die Politik sein, betont Jürgen Link. Und die Bürger? „Trefft Vorbereitungen, seid handlungsbereit“, rät Link. Die Gemeinden seien darin geübt, im Notfall Güter zu verteilen.

Wird die Verteilung von Jod-Tabletten zu selten geübt?

Da ist der Weingartener Katastrophenschutz-Experte Andreas Kling anderer Meinung. „So ganz ist das noch nicht ausgereift, wie etwa Jod-Tabletten an die Bevölkerung gelangen sollen“, sagt er. „Die Verteilung wird selten geübt und klappt dann im Ernstfall nicht.“ Gerade bei „großflächigen Lagen“ ohne Hilfe von Außen hält er den Katastrophenschutz in Baden-Württemberg nicht ausreichend gerüstet.

In Klings Heimatgemeinde Weingarten etwa gibt es aktualisierte Notfallpläne, wie ein Sprecher sagt. Wie Hilfsgüter oder Jod-Tabletten verteilt werden, wurde aber noch nie geübt. „Wir möchten dies in Zukunft tun“, so der Sprecher.

Doch für Kling reicht das nicht: „Haben sie sich schon mal Gedanken gemacht, wenn die Leute panisch vor ihnen stehen?“

Der Experte für Bevölkerungsschutz rät Bürgern, sich auch auf das Undenkbare vorzubereiten. „Auch an Corona hat vor ein paar Monaten niemand gedacht.“ Man solle für sich, seine Familie und die Nachbarn mitdenken. „Aber es gilt, nicht in Panik zu verfallen und sein Leben von Angst beherrschen zu lassen. Ein gewisses Maß an Vorbereitung ist aber gut.“

Das zeigte auch die Corona-Pandemie: Toilettenpapier war zeitweise in den Märkten ausverkauft.

nach oben Zurück zum Seitenanfang